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Reise zur Trasse im Jahre 2002
von Olaf Münchow

Reisebericht ZJO "EGT" Permer Bauabschnitt

15.06.02 Anreise in Berlin am Flughafen Schönefeld. 23:00 Uhr sind alle vor Ort. Es ist sofort festzustellen, daß alle sehr nervös und aufgeregt sind. Als Organisator und Perfektionist bin ich wahrscheinlich am aufgeregtesten. Wird auch alles klappen wie ich mir das gedacht und organisiert habe oder wird die Reise ein Reinfall? Ich kann es vorwegnehmen. Alle Mühe, stundenlange Telefonate mit meinen Mitreisenden, emsiger Fax und e-mail Verkehr mit Moskau und Perm sowie Rennerei wegen Paß und Visaunterlagen sowie Flugtickets haben sich gelohnt. Mit Flug SU 116 geht es pünktlich 1:00 Uhr nach Moskau. Aeroflot kann ich bescheinigen einen Top Service zu haben. Mit der Boing 737-400 kommen wir sicher an. Danach Fahrt mit dem Bus, welcher uns 8 Stunden zur Verfügung steht, ins Stadtzentrum. Roter Platz ( mit Lenin ), GUM, Hotel Rossija sowie Lenin Berge sind Stationen in Moskau.
Um 18.42 Uhr fährt Zug Nr. 18 "Kama" vom Jaroslawsker Bahnhof mit uns in Richtung Perm. Wie immer ist die Zugfahrt ein Erlebnis. Nicht nur für uns. Deschurnaja und alle anderen Reisenden sind überrascht, daß Deutsche mitfahren. Überall wird getuschelt " Deutsche, Deutsche". Alles ist wie immer oder doch nicht alles. Es gibt Tee, jetzt in Tassen, ständig kommt eine Mitarbeiterin der Bahn vorbei mit Bier, Schokolade, Eis und anderen leckeren Dingen. Der Speisewagen ist unser Revier für eine Stunde. Lachs, Sekt , Wodka, Bier, Soljanka alles in Hülle und Fülle vorhanden. Es gibt alles. Russische Gastfreundschaft wie eh und je. Wir dürfen sogar rauchen. Bei längeren Stopps in Kirow, Gorki und Wladimir wird deutlich, daß viele in Rußland große Probleme haben. Jeder versucht wenigstens etwas von dem was der Garten hergibt zu verkaufen um zusätzlich ein paar Rubel zu verdienen. Natürlich versucht man auch mit Geschäften reich zu werden. Da wird Bier was Kopeken kostet für Rubel angeboten, Wodka um fast das doppelte teurer gemacht usw. Jeder will leben und viele wollen überleben!! Während der Zugfahrt zeigt sich sofort, daß sich auf dem Lande nicht viel verändert hat. In den Geschäften gibt es Coca Cola, Schokolade und vieles andere mehr aus dem westlichen Ausland. Man braucht halt nur Geld. Das haben viele nur sehr wenig. In der Stadt liegt der Durchschnittsverdienst für einen Arbeiter bei 200 $ und für einen Angestellten bei 300 $.In Moskau und Perm fallen einem immer wieder Bettler und Straßenkinder auf. Und es sind nicht wenige. Die Miliz bemüht sich alles im Griff zu behalten und schreitet rigoros ein. Sie schafft es nicht. Zu viele sind schon früh am Morgen besof.....Es gibt überall und an jeder Ecke Alkohol zu kaufen. Die wirtschaftliche Wende in Rußland hat dafür gesorgt, daß es überall wo der Platz es zuläßt, Kioske und Pavillions entstanden sind, an denen man 24 Stunden essen und trinken kann. In Perm fällt besonders auf, daß Männer, Frauen und Jugendliche mit alkoholischen Getränken in der Hand zu sehen sind. Und das den ganzen Tag. Freiheit bedeutete für uns u.a. endlich reisen zu können wohin man will. In Perm haben wir das Gefühl, daß Demokratie und Freiheit mit Alkohol verbunden sind. Nach 22 h Zugfahrt kommen wir in Perm an.
Am Bahnhof steht wie vereinbart der Bus der uns zu unserer Unterkunft, einem Arbeiterwohnheim, bringt. Nach der Anmeldung ist Zimmerbesichtigung angesagt. Meine größte Sorge im Vorfeld war, wie sind die Zimmer? Aber auch hier haben wir Glück. Die Luxuszimmer sind für russische Verhältnisse top. Bad und Toilette, Wohnraum mit Couchgarnitur, Fernseher und Kühlschrank sowie der Schlafraum mit 3 Betten. Für 700 Rubel = 21 EUR pro Tag und Zimmer, haben wir eine Unterkunft um die uns andere beneiden. Am späten Nachmittag ziehen wir los. Auf in die City von Perm. Man staunt nicht schlecht was sich alles getan hat. Überall Werbung für alle Sachen dieser Welt. Neue Geschäfte, Restaurants, Cafes, Autohäuser, Neubauten und die teuersten Autos auf den Straßen. Arm und reich sind dicht bei einander. Hier die neuste S-Klasse von Benz, 7-er BMW, und andere Luxuswagen und dort die Straßenkinder bettelnd mit Schnüffeltüten unter der Nase. Prostituierte werden von verdunkelten Autos durch ihre Zuhälter beobachtet und wir stolpern staunend mitten durch. Wo freie Plätze sind kann man in gemütlichen Bars sitzen und bei Musik und gutem Essen und Trinken das Leben genießen.
Am nächsten Tag beginnt unsere eigentliche Trassentour. Nachdem wir uns bei der Miliz angemeldet haben geht es mit dem Bus nach Polasna. Tolle Brücke über die Kama. 15 Minuten braucht man bis Polasna. Eine Baracke von der DL finden wir noch. Küchentrakt und das ehemalige FZ sind eingezäunt. Am Tag danach Fahrt nach Otschor, Tschakowskaja und Bragino. Otschor steht und atmet noch. 3 Baracken werden noch genutzt. Der Rest ist zerfallen, da seiner Seelen beraubt. Alles ausgeschlachtet. Küche und angrenzende IL-Halle werden als Stolowaja genutzt. Die Kinohalle ist hochgestuhlt. Gardinen, Tische und Stühle sind da. Es sieht aus als wenn jeden Moment DL zum sauber machen kommt. Sie kommen halt bloß schon Jahre nicht mehr. Weiter hinten stehen IH und BEH Hallen noch, auch die Heizung ist in Betrieb.
Auf dem Rinok wird genau wie in Perm gerade das russische Ich verkauft. Wir kennen das auch aus Nachwendezeiten. Es gibt alles nur nicht das was es früher gab. Vergeblich suchen wir Knoblauchgurken und andere Dinge die man früher gerne kaufte. Es sieht aus wie auf dem Wochenmarkt am Ufer der Elbe in Magdeburg. Klamotten, Schuhe, CDs, Kassetten und andere Dinge. Wenige Russen kaufen etwas. Das erste mal denkt man darüber nach wie schön es früher auf dem Rinok war. Zum Glück gibt es auch hier kaltes Bier zu kaufen.
Die Weiterfahrt nach Bragino ist gesichert. Tschaikowskaja finde wir auch. Minol wird gesucht, wir sind uns nicht ganz sicher waren die da oder dort. 2 Baracken werden als Wohnunterkünfte genutzt. Stehen mächtig schief. Beide VH-Hallen stehen noch. In der einen ist es wie in Otschor. DL kommt gleich. Selbst Kultur - Ulli's Discopult steht noch. Daneben ist eine Bäckerei untergebracht. Man waren die geschockt als wir mit Videokamera und Photoapparat bewaffnet dort rein schossen ohne Rücksicht auf Hygiene zu nehmen, eben deutsch halt. Küche wartet darauf das wir wieder kommen. Alles komplett noch da. Brot kaufen und ab nach Bragino meinem Lieblingsstandort.
Am Ortseingangschild breche ich fast vor Anspannung zusammen. Was erwartet mich? Das nicht mehr viel da ist weiß ich aber als wir ankommen haut es den coolen Kulturnik total aus den Angeln. Ich brauche lange um das gesehene zu verarbeiten. Vom Woksal Bragino ist nur ein Trümmerhaufen übrig. Ich schäme mich meiner Tränen nicht als ich auf der Mauer stehe, hinter der mal mein Kinoraum war. Ne halbe Stunde benötige ich um mich in den Griff zu bekommen. An dieser Stelle wird mir wieder mal bewußt wie sehr man noch an der Trasse hängt. Vielleicht ein Leben lang.
Auf der Rückfahrt fällt allen auf , daß ich äußerst geknickt bin. Nach dem Schaschlik kurz vor Perm geht es langsam wieder. Schaschlik gibt es überall an der Straße. Dafür sieht man keine Hunde mehr. Wer jetzt was falsches denkt irrt. Alles sah nach Schwein aus und schmeckte auch so. Den besten gab es am Flußhafen Perm 1. Hier steppt abends der Bär. Da geht mächtig was ab. Disco in einem riesigen Prahm auf dem Wasser am Boulevard tobt Musik und das Volk. Allerdings ist hier Vorsicht geboten. Es gibt eine Menge Kriminelle in diesem Umfeld .In den all den Tagen haben wir alledings nie das Gefühl gehabt, daß uns etwas hätte passieren können. Man begegnet uns überall freundlich und aufgeschlossen. Auf Grund der Ereignisse in New York und der damit verbundenen Allianz gegen den Terrorismus ist man vorsichtig und so wird unser Hotels rund um die Uhr von einem Sicherheitsdienst bewacht.
Goldirewskij. Wie in Bragino. Die VO steht noch als Ruine. Der Vorführraum ( Kino ) steht noch. Was fest gemauert war hat überlebt. Das Birkenwäldchen wächst und gedeiht. Weit und breit ist nichts mehr zu sehen von früher. Wo einst das Wohnlager war ist eine Kolchose oder so etwas ähnliches. Auf alle Fälle haben die aus Rohren Schneepflüge, Planierteile für Wege und dergleichen gebastelt. Russischer Erfindergeist!! Aber Minol das haben sie gelassen. Die Tankcontainer wurden umgespritzt mit den Farben von LUKOIL aber die Technik und alles andere drum rum ist DDR-deutsch.
Nenastje. Der Standort wo fast alles noch so steht wie wir es übergeben haben. Wir waren angenehm überrascht. Aus unseren Baracken hat man eine Art Einfamilienhäuser gemacht. Andere Barackenteile wurden übereinander gesetzt. Alle Hallen stehen noch und werden durch Firmen genutzt. Fensterbau, Containerbau und dergleichen. Heizhaus und Küche sind voll in Funktion. Richtung RT und SB stehen neue Hallen die von einer Pipelinefirma genutzt werden. Auf diesem Areal werden Komatsu Rohrleger D 155 C, D 355 C, Fiatalis sowie Bagger gewartet und repariert. Alles Technik vom ZJO- EGT wie unschwer an Hand der Embleme zu erkennen ist.
Von Goldi nach Nena-WL führt jetzt eine asphaltierte Straße. Unser Bus fuhr immer flotte 110 Sachen. Nowy-Kungur. Die Baubase steht noch. Nicht alles aber vieles. Genutzt wird ein Teil des Areals durch die Fa. FAB- Fernleitungs und Anlagenbau Leipzig- Engelsdorf. Von dort aus werden Aufträge koordiniert die in Rußland ausgeführt werden müssen. Incl. Technikbereitstellung, Versand und Ausführung der Arbeiten.
Berjosowka. Freizeitzentrum, VH und IL-Halle sind weg. Von der Gaststätte steht noch die Ruine. Die WUD wo FDJ, BGL und der von mir "heiß" geliebte Dieter Ostertag zu finden waren ist weg. Auch die gegenüber die als Wohnunterkunft diente existiert nicht mehr. Um die Kanalisation zu nutzen, hat man dort Villen hin gebaut. Vom feinsten. Marmortreppen und vergoldete Nummernschilder zeugten auch hier davon , daß es Russen gibt die über genug Rubel verfügen. Küchentrakt steht komplett auch die WUD wo die Bereichsleitung HAN-Versorgung drin war. Einige Hallen (KIH, BEH ) stehen noch. Am Ortseingang mußten wir abrupt stoppen. Unsere Minolis mußten sofort aus dem Bus. Die Tankstelle stand da wie früher. Alles vorhanden. Vom Öffnungszeitenschild über die Tanksäulen bis hin zum Lager war alles da. Kartons mit Originalteilen ( Filter für die Tanksäulen ) wurden geöffnet und Filter als Souvenirs mit genommen. Im übrigen wurde die Tankstelle bewacht. Vielleicht hofft man darauf, daß wir eines Tages wieder kommen.
In Kungur selber ist alles beim alten. Knast, Innenstadt, Bahnhof und vieles mehr hat sich nicht verändert. Am T34 werden nach wie vor von den frisch getrauten Ehepaaren die Brautsträuße niedergelegt. Auch Lenin wird überall gepflegt. Nachdem man ihn ja eine Zeitlang aus dem Mausoleum entfernt hatte, ist er jetzt wieder zu besichtigen. Die Ehrenwache fehlt allerdings. Nach wie vor ist sie mit ihrem Stechschritt bei der Wachablösung vor der ewigen Flamme am Mahnmal des unbekannten Soldaten zu bewundern.
Tschaikowski. 7 Stunden Fahrt mit dem Tragflächenboot "Wostok" 380 km von Perm bis Tschai. Ein Erlebnis die Kama per Schiff zu bereisen. Unterbringung im Hotel "Wolna". Zimmer top wie auch der Service im Restaurant. Man war sichtlich begeistert endlich mal wieder Deutsche zu sehen. Die Anmeldung dauerte zwar fast 2 Stunden für 14 Leute, dafür war man im Restaurant sichtlich bemüht uns nicht lange warten zu lassen. Die Tischreservierung für die sonnabendliche Disco war Pflicht. Zuvor ging es aber nach Sosnowo. Auch hier das gleiche Bild wie in Bragino. Nur noch Reste der Küche waren zu sehen. Die WUD's hatte man komplett abgebaut und die Fläche kurz vorher rekultiviert. Mehr konnten wir nicht besichtigen, da die Zeit knapp wurde. Ca. 80 hübsche Frauen warteten auf uns. Die Auswahl war groß bei ca. 15 anwesenden Männern. Ebenso die Tatsache, daß ehemalige Trasseerbauer da waren. Man kommunizierte ausgiebig miteinander. Der Morgen klang für mich und 2 weitere Trassniks um 5:00 Uhr am Hafen aus. Am Nachmittag ging es zurück nach Perm. Nächster Tag frei. Auf in die Stadt dachten sich alle und flogen aus. Es war schon interessant in den Geschäften zu bummeln. Es gibt alles was man sich vorstellen kann. Die Fußballweltmeisterschaft wurde von uns ausgiebig verfolgt. Eine Gelegenheit in Ruhe mal einen Wodka zu trinken. Höhepunkt der abendlichen Aktivitäten, war ein russischer Abend mit Knobi und allem was dazu gehört. Die Zugfahrt von Perm nach Moskau mit dem Zug Nr. 17 verlief ohne Komplikationen. Allerdings sahen wir uns gezwungen kurzzeitig den Waggon und das Restaurant zu einer Feiermeile umzufunktionieren als wir vom Finaleinzug unserer Fußballer erfuhren. Mit dem obligatorischen Besuch des Restaurants im Obergeschoß des Flughafens Scheremetjewo 2 endete unser Aufenthalt in der Hauptstadt der Russischen Förderation. Pünktlicher Abflug von SU 113 am 26.06.02 um 16:05 Uhr in Moskau und Landung in Berlin. Jeder war froh wieder zu Hause zu sein. Für jeden begann ab hier die Aufarbeitung des gesehenen und erlebten. Für mich persönlich war diese Reise etwas unvergeßliches. Tage habe ich gebraucht, um das Gefühl auf Urlaub in Deutschland zu sein, los zu werden. Nach fast 4 Wochen ist diese Gefühl auf Grund des Alltages der mich wieder hat verflogen, aber ich weiß, daß ich gern mal wieder auf "Urlaub" kommen möchte.

Am Ende dieses Berichtes möchte ich mich bei Galja aus Berlin, Tanja aus Perm und Sascha aus Moskau bedanken. Ohne Eure Hilfe wäre diese Reise nicht möglich gewesen. Recht herzlichen Dank. Wir sehen uns nächstes Jahr!

Olaf Münchow ehemals HAN-Kultur

Magdeburg 23.07.2002



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